FAQ - Häufig gestellte Fragen

Druckversion (pdf) drucken.gif (955 Byte)

Rheinische Post: Die Kaninchen vor der SchlangeWir leben im Zeitalter der Zahlengläubigkeit und des demoskopischen Übermutes. Journalisten und Politiker ziehen sich die Zahlen rein wie Junkies ihren Stoff. Während Junkies vom Entzug träumen, denken Politiker und Journalisten nicht im Traum daran, ihrem Stoff abzuschwören.
Früher haben sich die Mächtigen Hofnarren gehalten. Heute würden sie sich Meinungsforscher anschaffen, denn ohne Demoskopie geht nichts mehr. Der Medienkanzler wagt es nicht, sich im Bett umzudrehen, ohne vorher seinen Demoskopen um Rat zu fragen. Zwar turtelt Stoiber mit Angela auch ohne kirchlichen Segen, aber nicht ohne vorher bei seinem Meinungsforscher gebeichtet zu haben.

 

In diesem Abschnitt finden Sie die Antworten zu häufig gestellten Fragen. Der erste Teil ist als Einführung gedacht und kann wie ein Interview gelesen werden. Der zweite Teil ist speziellen Fragen gewidmet, die z.T. etwas technisch sind.

1. Teil

Weshalb sind Wahlprognosen Wählertäuschung?

Die Leute glauben, Prognosen stützen sich auf Umfragen, in welchen den Befragten die bekannte Sonntagsfrage gestellt werde: "Wie würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?" Die Antworten seien dann die Prognose. Aber das ist überhaupt nicht so! Zwischen Ergebnissen und Prognosen bestehen meist große Unterschiede.
Werden die Ergebnisse zur Sonntagsfrage geschönt?

Frau Prof. Elisabeth Noelle-Neumann - die große alte Dame der deutschen Meinungsforschung - äußerte sich einmal dahingehend, daß das Umfrageergebnis nicht so wichtig sei. Entscheidend sei, wie es verändert werde. Sie sieht das als eine Kunst und brüstet sich öffentlich, daß sie Ergebnisse bis zu 11% abändert, bevor sie damit in die Öffentlichkeit geht.

Machen das andere Meinungsforscher auch? Das ist in dieser Branche üblich und gehört schon fast zum guten Ton. Der Chef vom Institut Forsa - Manfred Güllner - hat vor einigen Jahren darüber in "Die Woche" einen Artikel geschrieben: "Der geschönte Wähler."
Sind die tatsächlichen Ergebnisse öffentlich zugänglich?

Nein, außer beim ZDF-Politbarometer bis zu einem gewissen Grad. In einem Interview mit dem Spiegel antwortete Frau Noelle-Neumann auf die Frage "Wären Sie grundsätzlich bereit, die Rohzahlen zu veröffentlichen ....?" kategorisch mit Nein. Ihre Begründung spricht für sich: "Die Bevölkerung und die Journalisten erklären sich schon jetzt für verwirrt. Warum sollten wir sie noch weiter verwirren?"

Wie sieht die Situation beim ZDF-Politbarometer aus?

Politische Stimmung (oben) und Projektion (unten)

Ich hatte Zugang zu den Originaldaten vom ZDF-Politbarometer, die von der Forschungsgruppe Wahlen e.V. stammen. Im Gegensatz zur üblichen Präsentation in anderen Medien werden im ZDF-Politbarometer (Fernsehen und im Internet) zwei verschiedene Graphiken mit Zahlen präsentiert. Die eine ist betitelt mit "politische Stimmung" und die andere mit "Projektion - Wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre".
Die "Politische Stimmung" wird heute den Ergebnissen zur Sonntagsfrage abgerungen (siehe www.Wahlrecht.de). "Abgerungen" heißt, daß das Zahlenmaterial mehreren legitimen und illegitimen Waschvorgängen unterzogen wird, um dessen mangelnde Aussagekraft zu verschleiern. Im ZDF wird in keiner Weise zum Ausdruck gebracht wird, daß sich die "Politische Stimmung" auf die Sonntagsfrage bezieht. Denn offensichtlich kann in einer Umfrage nicht die Frage "Wie ist Ihre politische Stimmung?" gestellt werden. Es ist also dem Zuschauer/Leser überlassen, sich zu überlegen, wie die Frage dazu wohl gelautet haben mag.
Die Zahlen für die "Projektion - Wenn am nächsten Sonntag wirklich Wahl wäre" werden im ZDF jeweils mit einem Kommentar präsentiert, der etwa Folgendes ausdrückt: "Wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre, dann würde nach Berücksichtigung längerfristiger Überzeugungen und taktischer Überlegungen ein anderes Ergebnis zustande kommen, als bei der "Politischen Stimmung". Damit wird verschleiert, daß es sich bei der Projektion nicht um die Antworten auf die Sonntagsfrage handelt - wie dies durch die geschickte Wortwahl suggeriert wird -, sondern schlicht um eine Stammtischschätzung der "forschen Truppe Wahlen", wie dies allgemein üblich ist (Allensbach, Emnid, Forsa, Infratest-Dimap). In der Internet-Version des ZDF-Politbarometers hingegen kann von einer Verschleierung nicht mehr die Rede sein. Da handelt es sich klar um eine Irreführung, denn es wird unzweideutig von der "Sonntagsfrage" gesprochen, wie z.B. in der Schlagzeile am 13.9.2002:


Sonntagsfrage: SPD liegt vorn

ZDF-Politbarometer zeigt deutliche Veränderung bei der politischen Stimmung

Die öffentliche Debatte nach dem zweiten TV-Duell sowie der Irak-Konflikt zeigen deutliche Wirkung auf die politische Stimmung gut eine Woche vor der Wahl. Die SPD kann in der aktuellen politischen Stimmung 5 Prozentpunkte dazugewinnen und kommt auf 45 Prozent, CDU/CSU verlieren 4 Prozentpunkte und erreichen nur noch 35 Prozent. In der Sonntagsfrage liegt die SPD drei Prozentpunkte vor der Union.

Der Zweck der Übung ist evident. Der Zuschauer/Leser soll nicht in Versuchung geraten, die Zahlen für die "Politische Stimmung" mit den Resultaten der andern Medien (FAZ, n-tv/RTL, Stern, ARD) zu vergleichen. Dieser Vergleich ist der Projektion vorbehalten. Denn in diesen Medien werden auch keine Umfrageergebnisse zur Sonntagsfrage veröffentlicht, sondern die Stammtischschätzungen.

Wie hat das ZDF-Politbarometer auf diese Kritik reagiert? Die Zulieferer für das Politbarometer - die Forschungsgruppe Wahlen - hat nach der Bundestagswahl 1994 Klage gegen mich eingereicht. Ich sollte widerrufen. Ich sollte zwar nicht wie Galilei auf den Scheiterhaufen. Aber zwei Jahre Gefängnis oder eine halbe Million Mark Buße sollte ich kriegen, falls ich mich nicht beuge. Doch die Gerichte haben mir Recht. Seither darf ich quasi mit höchstrichterlichem Segen die Botschaft verkünden, daß im ZDF-Politbarometer die Ergebnisse zur Sonntagsfrage geschönt sind.
Anlaß für den Zorn der Datenfabrikanten war die Broschüre "Der Dreh mit den Prozentzahlen", die ich im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung geschrieben habe. Ich habe darin detailliert dargestellt, wie die Ergebnisse zur Sonntagsfrage geschönt wurden. Ich habe Abweichungen von bis zu 9% festgestellt. Zum Beispiel wurde kurz vor der Bundestagswahl 1987 und 1994 die absolute Mehrheit für die CDU/CSU wegretuschiert. Der SPD wurde unter die Arme gegriffen, als sie unter tiefen Umfragewerten litt. Die Zahlen der FDP wurden monatelang fast verdoppelt, als sie unter der 5%-Hürde strampelte. Und die Grünen wurden regelmäßig in Wechselbädern nachbehandelt.
Warum werden die Ergebnisse zur Sonntagsfrage gefälscht? Ist das politisch motiviert?

Nein! Die "Linken" und die "Rechten" fälschen auf die gleiche Weise. Der Grund liegt woanders. Meinungsforscher sind gebrannte Kinder. Sie haben die Erfahrung gemacht, daß Ergebnisse zur Sonntagsfrage wenig Brauchbares für Prognosen liefern. Von einer Umfrage zur nächsten können große Änderungen in den Parteistärken eintreten, obwohl gar nichts passiert ist. Das sieht wie ein grober Fehler aus. Deshalb wird an den Ergebnissen herumgedoktert. W. Gibowski, langjähriger Chef der Forschungsgruppe Wahlen, beschrieb das Dilemma einmal im Handelsblatt wie folgt: "Vergleicht man Umfrageergebnisse mit den tatsächlichen Wahlresultaten der Parteien bei den Bundestagswahlen, dann stellt man verblüffende Unterschiede fest. ... Überhaupt sind Bundestagswahlergebnisse der letzten 20 Jahre recht stabil, stabiler jedenfalls als Umfrageergebnisse der Sonntagsfrage".
Wie erklären sich diese Sprünge, die politisch nicht nachvollziehbar sind?
Das liegt u.a. an der Art und Weise, wie Umfragen durchgeführt werden. Es werden meist etwa 1000 bis 2000 Telefonnummern (im Osten 300 - 600) ausgelost. Die Leute werden angerufen und befragt. Somit hängt das Ergebnis von den ausgelosten Wahlberechtigten ab. Für die nächste Umfrage werden andere ausgelost, was zu einem etwas anderen Resultat führt. Für große Parteien entstehen so Unterschiede bis zu sechs Prozent und für Kleine bis zu drei, d.h. aber nicht, daß für alle Parteien solche Sprünge auftreten, sondern nur eine große oder eine kleine. Dabei ist eine allfällige Änderung in der politischen Stimmung nicht berücksichtigt. Die durch die Zufallsauswahl vorgetäuschten Änderungen betragen durchschnittlich etwa zwei Prozent für große Parteien bzw. die Hälfte für Kleine. Am häufigsten treten für eine große Partei Sprünge um 3% auf oder für eine kleine um 1.5%. Damit dies für jedermann nachvollziehbar, haben wir die Zufallsauswahl und ihre eklatanten Auswirkungen simuliert und als Computerspiel programmiert.
Weshalb liefern Umfragen zur Sonntagsfrage wenig Brauchbares? Aus dem gleichen Grund. Eine Umfrage ist ein sehr grobes und ungenaues Meßinstrument. Man kann mit einem Zollstock auch keine Millimeter-Bruchteile messen wie mit einer Schieblehre. Aber genau das täuschen die Meinungsforscher vor. Sie tun so, als könnten sie genaue Prozentzahlen ermitteln. In Wirklichkeit können sie nur grobe Schätzungen machen. Für eine Umfrage wie im ZDF-Politbarometer oder in der ARD beträgt die Ungenauigkeit bei den großen Parteien etwa 8% und für die kleinen 4%.
Mit einer Umfrage ist also nicht festzustellen, ob die CDU auf 40% kommt, die SPD auf 38%, die Grünen auf 6% und die FDP auf 8%? Und ob die PDS die 5%-Hürde schafft?
Nein. Das ist vollkommen unmöglich. Je nach Auslosung der Wahlberechtigten kommen ganz andere Ergebnisse für die Sonntagsfrage heraus. Man kann nur feststellen, daß CDU/CSU wahrscheinlich zwischen 36% und 44% liegt und die SPD zwischen 34% und 42%. Die Grünen zwischen 4% und 8%, die FDP zwischen 6% und 10% und die PDS zwischen 2% und 6%. Doch selbst für diese lächerliche Prognose besteht ein Restrisiko von 5%, daß sie falsch ist (Bei 1250 Interviews und einer Wahlbeteiligung von 80%). Außerdem ist sie von Voraussetzungen abhängig, die in der Praxis nicht erfüllt sind.
Es versteht sich von selbst, daß die Medien es sich nicht leisten können, so etwas zu veröffentlichen. Umfragen zur Sonntagsfrage dienen quasi als Alibi. Sie liefern selten Ergebnisse, die man veröffentlichen könnte. Prognosen werden ohnehin ganz anders gemacht.
Hat jedes Meinungsforschungsinstitut sein eigenes Rezept für Prognosen? Wie das bei Köchen so ist, schwört jeder auf sein eigenes Rezept. Vor den Wahlen kommt man ihnen nicht auf die Schliche. Aber nach den Wahlen wird es sonnenklar, wie dieses Spiel läuft. Alle machen es im Prinzip auf die gleiche krumme Tour. Deshalb gleichen sich Prognosen oft wie ein Ei dem andern. Lediglich Frau Noelle-Neumann bzw. Allensbach kaprizieren sich manchmal mit einer Extratour.
Wie werden Prognosen nach den Wahlen gemacht, wenn sich niemand mehr dafür interessiert?
Man hält sich an das Ritual und führt eine Umfrage durch. Das Ergebnis schmeißt man unbesehen in den Müll. Als Resultat wird das amtliche Wahlergebnis hingeschrieben, das gerade einen Monat alt geworden ist. Das kann zwar jeder, aber nur Meinungsforscher schaffen es, dafür Tausende Euros zu kassieren.
Und im zweiten Monat nach der Wahl und danach?

Läuft das Spiel genau so weiter. Mit der Zeit werden die Parteistärken behutsam verändert, wenn die Meinungsforscher im Urin spüren, das sich etwas verändert hat. Im Demoskopen-Schmu heißt diese Betätigung Gewichtungs-Kunst. Politische Ereignisse werden zu Prozentzahlen verwurstet. Ein Prozent wird dazu- oder abgezählt, ausnahmsweise auch mal zwei. Meist aber bleiben die Zahlen unverändert. Die Konstanz der veröffentlichten Zahlen - d.h. die geringen Veränderungen von einer Umfrage zur nächsten -, ist für einen Mathematiker der Beweis, daß von Allensbach bis Infratest systematisch geschummelt wird. Die Zufallsauswahl - die alle Meinungsforscher als das demoskopische Ei des Columbus besingen - würde ihnen eklatante Sprünge bescheren. Da dies mit der relativen politischen Stabilität der letzten vierzig Jahre unvereinbar ist, wird daran herumgedoktert und die Sprünge weggeschliffen.
Wie verändern sich denn die Parteistärken zwischen Wahlen tatsächlich, und insbesondere im Wahlkampf?

Das weiß kein Mensch! Die von den Meinungsforschern hinausposaunten Trends haben reinen Horoskopcharakter. Sie sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch (über 99%). Das kann jeder mit Hilfe der Trendsimulation selbst verifizieren. Die ganze Weisheit für Prognosen und Trends besteht darin, die alten Zahlen abzuschreiben und gelegentlich ein oder zwei Prozente dazu- oder abzuzählen. Mehr steckt nicht dahinter. Die politische Stabilität in Deutschland ist die wirkliche Geschäftsgrundlage der Meinungsforscher und nicht die Ergebnisse zur Sonntagsfrage. Prognosen und der neueste Trend sind reine Stammtischschätzungen von Meinungsforschern.

Und wenn sich in der politischen Landschaft etwas ändert?
Dann fallen die feinen Herren und Damen regelmäßig auf die Nase, wie man das bei Landtagswahlen oft sehen kann. Bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt, Hamburg, Berlin usw. lagen die Prognosen für die CDU, SPD und Schill-Partei fünf bis acht Prozent daneben. Aber auch bei der Bundestagswahl 1998 gingen die Prognosen baden, die von einem knappen Rennen faselten. Die CDU/CSU erhielten dann drei Prozent weniger als vorausgesagt und das war das Ende der Ära Kohl. Die größte Pleite war Frau Noelle-Neumann bei der Bundestagswahl 1990 vorbehalten. Nachdem sie den Grünen in der FAZ wochenlang 10% prophezeit hatte, scheiterten diese an der 5%-Hürde. Noch am Wahlabend stieg sie in Sat1 mit 8,5% auf die Bühne. Minuten später stand sie fassungslos und händeringend im Regen.
Was raten Sie den Wahlberechtigten? Sie sollen sich nicht von Wahlprognosen beeinflussen lassen. Sie sollen zur Wahl gehen und das wählen, was sie für richtig halten.
Und die Moral von der Geschicht?
Wir leben im Zeitalter der Zahlengläubigkeit und des demoskopischen Übermutes. Journalisten und Politiker ziehen sich die Zahlen rein wie Junkies ihren Stoff. Während Junkies vom Entzug träumen, denken Politiker und Journalisten nicht im Traum daran, ihrem Stoff abzuschwören.
Früher haben sich die Mächtigen Hofnarren gehalten. Heute würden sie sich Meinungsforscher anschaffen, denn ohne Demoskopie geht nichts mehr. Der Medienkanzler wagt es nicht, sich im Bett umzudrehen, ohne vorher seinen Demoskopen um Rat zu fragen. Zwar turtelt Stoiber mit Angela auch ohne kirchlichen Segen, aber nicht ohne vorher bei seinem Meinungsforscher gebeichtet zu haben.

Druckversion (pdf) drucken.gif (955 Byte)