Das neueste ZDF-Politbarometer - richtig gelesen!

Am 16. Mai 2003 wurden im ZDF-Politbarometer die neuesten Umfrageergebnisse der Forschungsgruppe Wahlen e.V. zur Sonntagsfrage publik gemacht. Aus Kosten- und Zeitgründen kann nur ein winziger Bruchteil aller 60 Millionen Wahlberechtigten befragt werden. Die Forschungsgruppe Wahlen hat diesmal 1263 Wahlberechtigte vom 12. bis 15. Mai befragt, deren Telefonnummern ausgelost wurden. Das Umfrageergebnis lautete

Union 46%, SPD 31%, Grüne 9%, FDP 6%, PDS 4%

Offensichtlich ist es nicht repräsentativ für alle Wahlberechtigten, denn es hängt davon ab, welche 1263 Wahlberechtigte ausgelost wurden. Verschiedene Auslosungen führen zu verschiedenen Ergebnissen. Für jede Partei gibt es deshalb nicht eine Prozentzahl, sondern ein ganzes Band von möglichen Prozentzahlen. Welche Prozentzahl die richtige ist, läßt sich nicht feststellen. Für die Beurteilung des Informationswertes einer Umfrage ist es daher unerläßlich, diese Bandbreite für jede Partei zu kennen. Dies läßt sich mit Hilfe einer Computersimulation erreichen. Das Umfrageergebnis lautet dann nicht, wie im ZDF präsentiert, sondern

CDU/CSU SPD Bündnis90/Grüne FDP PDS
42 - 50 27 - 35 7 - 11 4 - 8 2 - 6

Berechnungsgrundlage: Wahlbeteiligung 80% und die Prognose soll mit einer Wahrscheinllichkeit von 95% richtig sein. Die weit größeren Fehlerquellen - wie z.B. falsche Angaben, Antwortverweigerung, erfolglose Kontaktversuche usw. - sind dabei nicht berücksichtigt.

Fazit. Das wahre Umfrageresultat hat keinen Informationswert, denn es läßt alles offen. Die SPD liegt zwar weit abgeschlagen hinter der Union zurück. Aber es ist möglich, daß FDP und PDS an der 5%-Hürde scheitern und Rotgrün stärker ist als die Union.

Im ZDF-Politbarometer werden die Umfrageergebnisse als genau präsentiert. Der Internetseite des ZDF-Politbarometers kann man allerdings entnehmen, daß die Zahlen höchst ungenau sind. Für große Parteien sollen die Fehler bis zu +/- 2,7% betragen, für kleine bis zu +/- 1,4%. In Wirklichkeit sind sie größer, denn die Fehler-Berechnung der Forschungsgruppe Wahlen ist falsch: Da wird stillschweigend vorausgesetzt, daß nur zwei Parteien an den Wahlen teilnehmen und daß die Wahlbeteiligung 100% beträgt und daß die ausgelosten Wahlberechtigten zu Hause sind und wahrheitsgetreu antworten. Selbst wenn man nur diese Fehler in Rechnung stellt, dann müßte das Umfrageergebnis im ZDF wie folgt dargestellt werden:

CDU/CSU SPD Bündnis90/Grüne FDP PDS
43,3 - 48,7 28,3 - 33,7 7,6 - 10,4 4,6 - 7,4 2,6 - 5,4

Als Lachnummer wunderbar, denn in dieser Form macht das Umfrageergebnis alle Parteien wunschlos glücklich:
1. Die CDU/CSU bedient sich mit 48,7% am "Umfrageergebnis von 43,3 bis 48,7", was ihr die absolute Mehrheit beschert. FDP und PDS hingegen werden sicher unter der 5% - Hürde gehalten werden und damit ist auch die SPD irrelevant.
2. SPD und Grüne picken sich die Rosinen aus dem ZDF-Politbarometer-Kuchen etwas anders heraus: Sie bedienen sich mit 33,7% und 10,4%, was ihnen eine Regierungsmehrheit von 44,1% beschert. FDP und PDS hingegen lassen sie an der 5%-Hürde scheitern, während die Union mit 43,3% unter dem Deckel gehalten wird.
3. Ist die FDP an der Reihe, dann bedient sich mit 7,4% und hält sich die Union mit 43,3% am Gängelband. Den Rest (49,3%) überläßt sie SPD, Grünen, PDS und anderen Sonstigen zur freien Ausmarchung.
4. Auch die PDS kann in der ZDF-Politbarometer-Republik ihre kühnsten Träume in Erfüllung bringen: Sie verschafft sich mit 5,4% nicht nur den Wiedereinzug in den Bundestag, sondern läßt die FDP mit 4,6% im Regen stehen und verhilft der Union mit 43,3% zur Impotenz. Ferner werden SPD und Grüne zusammen auf 40% begrenzt, was die PDS zum Zünglein an der Waage macht. Damit geht ohne PDS nichts mehr in der Republik.


Technische Information:

Die in der gelben Tabelle angegeben Fehler, die durch die Zufallsauswahl der befragten Wahlberechtigten verursacht werden, kann man auch als Laie mit Hilfe der Mißerfolgs-Statistik von Umfragen verifizieren. Man gibt in der Input-Spalte (linke Seite der Tabelle) die vom ZDF-Politbarometer angeführten Parteistärken

CDU/CSU 46, SPD 31, FDP 6, Grüne 9 und PDS 4 Prozent

ein. Im Block oben rechts gibt man als "Anzahl der Wahlberechtigten pro Umfrage" 1263 an - soviele Wahlberechtigte wurden laut ZDF-Politbarometer befragt - und setzt für die Wahlbeteiligung die üblichen 80% ein. Für die Anzahl der Umfragen (Auslosungen) wähle man zunächst 1000 - bei größeren Zahlen kann die Berechnung sehr lange dauern. Mit "LOS" wird die Simulation gestartet. In der untersten Tabellenzeile der "Mißerfolgsstatistik" kann man das Resultat der Simulation ablesen. Es zeigt sich, daß etwa

6% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 1% für die großen Parteien und +/- 0,5% für die kleinen einhalten

44% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 2% für die großen Parteien und +/- 1% für die kleinen einhalten

81% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 3% für die großen Parteien und +/- 1,5% für die kleinen einhalten

95% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 4% für die großen Parteien und +/- 2% für die kleinen einhalten

Genauere Resultate kann man der untern angeführten Tabelle entnehmen. Man sieht, daß 95% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 4% für große Parteien und +/- 2% für kleinen einzuhalten vermögen. Aber 5% der Umfragen (Auslosungen) schaffen nicht einmal das. Mit andern Worten, in jeder zwanzigsten Umfrage (Auslosung) übersteigt der Fehler für eine große Partei +/- 4% oder für eine kleine Partei +/- 2%!

Scherzfrage: Wie viele von 100 Umfragen schaffen es, die von der Forschungsgruppe Wahlen vermarkteten Parteistärken (CDU/CSU 46, SPD 31, FDP 6, Grüne 9 und PDS 4 Prozent) zu treffen?

Scherzfrage: Wie viele von 10000 Umfragen schaffen es, die von der Forschungsgruppe Wahlen vermarkteten Parteistärken (CDU/CSU 46, SPD 31, FDP 6, Grüne 9 und PDS 4 Prozent) zu treffen?

Maximale Abweichung
eingehalten von
für große Parteien für kleine Parteien (in Prozent von 100000 Umfragen)
1,0% 0,5% 6%
1,2% 0,6% 11%
1,4% 0,7% 18%
1,6% 0,8% 26%
1,8% 0,9% 35%
2,0% 1,0% 44%
2,2% 1,1% 53%
2,4% 1,2% 61%
2,6% 1,3% 69%
2,8% 1,4% 75%
3,0% 1,5% 81%
3,2% 1,6% 85%
3,4% 1,7% 89%
3,6% 1,8% 92%
3,8% 1,9% 94%
4,0% 2,0% 95%
4,2% 2,1% 97%
4,4% 2,2% 98%
4,6% 2,3% 99%
>4,6% >2,3% 1%
Grundlage der Simulation: 100000 Wiederholungen, Parteistärken laut Politbarometer vom 16.5.2003, ebenso Stichprobenumfang (1263) und Wahlbeteiligung (80%).