Der neueste Infratest - Umfrage in Bremen - richtig gelesen!

Am 16. Mai 2003 wurden von der ARD neue Umfrageergebnisse von Infratest-dimap über die Wahlen in Bremen veröffentlicht. Aus Kosten- und Zeitgründen kann nur ein winziger Bruchteil aller Wahlberechtigten befragt werden. Infratest-dimap hat diesmal 1000 Wahlberechtigten befragt, deren Telefonnummern ausgelost wurden. Das Umfrageergebnis lautete

CDU 36%, SPD 38%, Grüne 12%, FDP 5%, Sonstige (DVU, PDS usw.) 9%

Offensichtlich ist es nicht repräsentativ für alle Wahlberechtigten, denn es hängt davon ab, welche 1000 Wahlberechtigte ausgelost wurden. Verschiedene Auslosungen führen zu verschiedenen Ergebnissen. Für jede Partei gibt es deshalb nicht eine Prozentzahl, sondern ein ganzes Band von möglichen Prozentzahlen. Welche Prozentzahl die richtige ist, läßt sich nicht feststellen. Für die Beurteilung des Informationswertes einer Umfrage ist es daher unerläßlich, diese Bandbreite für jede Partei zu kennen. Dies läßt sich mit Hilfe einer Computersimulation erreichen. Das Umfrageergebnis lautet dann nicht, wie in der ARD kolportiert, sondern

CDU SPD Bündnis90/Grüne FDP Sonstige
30,4 - 41,6 32,4 - 43,6 9,2 - 14,8 2,2 - 7,8 6,2 - 11,8

(Berechnungsgrundlage: Wahlbeteiligung 60% (wie 1999) und die Prognose soll mit einer Wahrscheinllichkeit von 95% richtig sein. Die weit größeren Fehlerquellen - wie z.B. falsche Angaben, Antwortverweigerung, erfolglose Kontaktversuche usw. - sind dabei nicht berücksichtigt.)

Wie man sieht, verkörpert das Umfrageresultat ein wahres demoskopisches Schlaraffenland. Es macht alle Parteien wunschlos glücklich, und jeder kann sich daran bedienen, wie es ihm gefällt. Zunächst bestätigt es die Möglichkeit einer großen Koalition. Doch wer braucht dafür eine Umfrage? Die CDU sieht sich mit gebührendem Abstand hinter der SPD, sodaß Henning Scherf als Bügermeister nicht mutwillig vom Sockel fällt und die große Koalition weiterknobeln darf. Die SPD - jedenfalls Henning Scherf und seine Anhänger - lesen das Umfrageergebnis genau so. Die Grünen hingegen fühlen sich mit 14,8% bärenstark und sehen die SPD hinter der CDU, was Henning Scherf vom Sockel haut, die große Koalition zum Platzen bringt und den Weg für Grünrot freimacht. Auch die FDP feiert mit dem Umfrageergebnis ihre Wiederauferstehung: Mit 7,8% schafft sie locker die 5%-Hürde und da die CDU auf 41,6% kommt, kann Bremen endlich von Schwarz-Gelb saniert werden. Auch der grüne Teil der SPD - der nicht so scherf auf Henning ist - beerdigt mit dem Umfrageergnis die große Koalition und bringt Rotgrün an die Macht - z.B. Grüne 12%, SPD 38%, CDU 40% und die Sonstigen wie FDP, DVU, PDS weit unter 5% .

ARD erweckt den Eindruck, die präsentierten Zahlen seien exakt. Von Fehlern ist keine Rede. Hingegen wird auf der Internetseite von Infratest-Dimap eine "Fehlertoleranz" von 3,1 Prozentpunkten für die großen und 1,4 Prozentpunkten für die kleinen Parteien eingeräumt. Nach Adam Riese lautet das Umfrageergebnis nicht wie in der ARD verkündet, sondern

CDU SPD Bündnis90/Grüne FDP Sonstige
32,9 -39,1 34,9 - 41,1 10,6 - 13,4 3,6 - 6,4 7,6 - 10,4

was wie vorhin fast alles offen läßt. Infratest-Dimap schweigt sich auf seiner Internetseite darüber aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit diese (viel zu kleinen) Fehlertoleranzen eingehalten werden. Der unten angeführten Tabelle kann man entnehmen, daß diese etwa 44% beträgt. Mit anderen Worten: In fast jeder zweiten Umfrage ist der Fehler für eine große Partei größer als +/- 3,1% oder für eine kleine Partei größer als +/- 1,4% .


Technische Information:

Die in der gelben Tabelle angegeben Fehler, die durch die Zufallsauswahl der befragten Wahlberechtigten verursacht werden, kann man auch als Laie mit Hilfe der Mißerfolgs-Statistik von Umfragen verifizieren. Man gibt in der Input-Spalte (linke Seite der Tabelle) die vom Bonner dimap-Institut angeführten Parteistärken

CDU 36, SPD 38, FDP 5, Grüne 12 und Sonstige 9 Prozent

ein. Im Block oben rechts gibt man als "Anzahl der Wahlberechtigten pro Umfrage" 1000 an - soviele Wahlberechtigte wurden laut ARD befragt - und setzt für die Wahlbeteiligung die 60% ein, wie dies 1999 der Fall war. Für die Anzahl der Umfragen (Auslosungen) wähle man zunächst 1000 - bei größeren Zahlen kann die Berechnung sehr lange dauern. Mit "LOS" wird die Simulation gestartet. In der untersten Tabellenzeile der "Mißerfolgsstatistik" kann man das Resultat der Simulation ablesen. Es zeigt sich, daß etwa

2% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 1% für die großen Parteien und +/- 0,5% für die kleinen einhalten

18% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 2% für die großen Parteien und +/- 1% für die kleinen einhalten

48% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 3% für die großen Parteien und +/- 1,5% für die kleinen n einhalten

75% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 4% für die großen Parteien und +/- 2% für die kleinen einhalten

90% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 5% für die großen Parteien und +/- 2,5% für die kleinen einhalten

Genauere Resultate kann man der untern angeführten Tabelle entnehmen. Man sieht, daß knapp 95% der Umfragen (Auslosungen) die Toleranzen von +/- 5,6% für große Parteien und +/- 2,8% für kleinen einzuhalten vermögen. Aber 5% der Umfragen (Auslosungen) schaffen nicht einmal das. Mit andern Worten, in jeder zwanzigsten Umfrage (Auslosung) übersteigt der Fehler für eine große Partei +/- 5,6% oder für eine kleine Partei +/- 2,8%!


Scherzfrage: Wie viele von 100 Umfragen schaffen es, die von Infratest-Dimap vermarkteten Parteistärken (CDU 36, SPD 38, FDP 5, Grüne 12 und Sonstige 9 Prozent) zu treffen?

Scherzfrage: Wie viele von 10000 Umfragen schaffen es, die von Infratest-Dimap vermarkteten Parteistärken ( 36, SPD 38, FDP 5, Grüne 12 und Sonstige 9 Prozent) zu treffen?

Maximale Abweichung
eingehalten von
für große Parteien für kleine Parteien (in Prozent von 100000 Umfragen)
1,0% 0,5% 2%
1,2% 0,6% 4%
1,4% 0,7% 6%
1,6% 0,8% 9%
1,8% 0,9% 13%
2,0% 1,0% 18%
2,2% 1,1% 23%
2,4% 1,2% 29%
2,6% 1,3% 35%
2,8% 1,4% 41%
3,1% 1,4% 44,3%
3,0% 1,5% 48%
3,2% 1,6% 54%
3,4% 1,7% 60%
3,6% 1,8% 65%
3,8% 1,9% 70%
4,0% 2,0% 75%
4,2% 2,1% 79%
4,4% 2,2% 82%
4,6% 2,3% 85%
4,8% 2,4% 88%
5,0% 2,5% 90%
5,2% 2,6% 92%
5,4% 2,7% 93%
5,6% 2,8% 95%
5,8% 2,9% 96%
6,0% 3,0% 97%
6,2% 3,1% 97,4%
6,4% 3,2% 98%
>6,4% >3,2% 2%
Grundlage der Simulation: 100000 Wiederholungen, Parteistärken laut Infratest-dimap, ebenso Stichprobenumfang (1000) und Wahlbeteiligung (60%).