Was kann man mit einer Meinungsumfrage klären?

Wie die Tabellen zu verstehen sind

Voraussetzung für alle Beispiele ist eine ideale Meinungsumfrage. Damit ist gemeint, daß ein - fiktives - amtliches Wahlergebnis mit bestimmter Stimmenverteilung vorliegt, aus dessen Stimmzetteln nach einem perfekten Zufallsverfahren Stichproben von gegebenem Umfang gezogen werden. Die soziopsychologischen Probleme einer Befragung sollen also ausgeschlossen, das "wahre" Ergebnis bekannt sein.
Da die Stichproben nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Stimmen umfassen, können sie zufallsbedingt mehr oder weniger stark vom wahren Ergebnis abweichen. In den Beispielen wird jeweils eine einfache Frage betrachtet, beispielsweise ob die FDP die 5%-Hürde überwindet.
Ein Teil der Stichproben wird die Frage in Übereinstimmung mit dem amtlichen Ergebnis beantworten, der Rest dagegen wird die umgekehrte Antwort geben. Die Tabellen führen den jeweiligen Anteil der falschen Prognosen an. Durchgespielt werden sowohl verschiedene amtliche Ergebnisse, die in der ersten Spalte aufgeführt sind, als auch verschiedene Umfänge der Querschnitte, die in den weiteren Spalten zu finden sind. Vereinfachend wurde außerdem angenommen, daß nur die vier großen Parteien angetreten und keine ungültigen Stimmen möglich sind.

Beispiel 1: Die 5%-Hürde

Scheitern an der 5%-Hürde
FDP-Anteil gemäß
amtl. Wahlergebnis
Anzahl der Interviews
500 1000 2000 10000 127200
3,5 5,0 0,9 0,034 nahezu 0 nahezu 0
3,9 12,6 4,7 0,8 nahezu 0 nahezu 0
4,0 15,2 6,6 1,5 nahezu 0 nahezu 0
4,1 18,1 9,0 2,7 nahezu 0 nahezu 0
4,2 21,4 12,0 4,5 0,0057 nahezu 0
4,3 24,8 15,5 7,1 0,04 nahezu 0
4,4 28,5 19,6 10,7 0,22 nahezu 0
4,5 32,3 24,2 15,3 0,93 nahezu 0
4,6 36,4 29,3 21,0 3,1 nahezu 0
4,7 40,4 34,7 27,7 8,3 nahezu 0
4,8 44,6 40,4 35,2 18,0 0,046
4,9 48,8 46,2 43,2 32,8 5,0
Zu den interessantesten Fragen der Bundestagswahl zählt, ob die FDP die 5%-Hürde nehmen wird. In der ersten Spalte der Tabellen ist der im amtlichen Wahlergebnis unterstellte tatsächliche Stimmenanteil aufgeführt, bei der ersten Tabelle zwischen 3,5% und 4,9%. Rechts daneben steht der prozentuale Anteil der repräsentativen Querschnitte, die fälschlicherweise voraussagen, daß die FDP in den Bundestag einziehen würde. Hier werden also alle Querschnitte gezählt, die 5% oder mehr für die FDP ermitteln. Die einzelnen Spalten unterscheiden sich im Umfang der Stichproben.
Ein Beispiel: Wenn die FDP tatsächlich 4,7% (1. Spalte) der Stimmen erhalten hat, liefern 40,4% (2. Spalte) aller Querschnitte mit 500 Befragungen die falsche Antwort, daß nämlich die FDP die 5%-Hürde geschafft hätte. Selbst bei Querschnitten mit 10000 Befragungen stellen noch 8,3% die falsche Prognose.

Überwinden der 5%-Hürde
FDP-Anteil gemäß
amtl. Wahlergebnis
Anzahl der Interviews
500 1000 2000 10000 129000
5,0 47,1 48,0 48,6 49,4 49,8
5,1 43,1 42,3 40,5 31,8 5,0
5,2 39,2 36,8 33,0 17,8 0,055
5,3 35,4 31,6 26,1 8,6 nahezu 0
5,4 31,8 26,9 20,1 3,5 nahezu 0
5,5 28,5 22,5 15,1 1,25 nahezu 0
5,6 25,3 18,7 11,1 0,38 nahezu 0
5,7 22,4 15,3 7,9 0,10 nahezu 0
5,8 19,7 12,4 5,5 0,02 nahezu 0
5,9 17,2 9,9 3,7 nahezu 0 nahezu 0
6,0 14,9 7,8 2,4 nahezu 0 nahezu 0
6,1 12,9 6,1 1,6 nahezu 0 nahezu 0
6,2 11,1 4,7 0,98 nahezu 0 nahezu 0
6,3 9,5 3,6 0,60 nahezu 0 nahezu 0
6,4 8,1 2,7 0,36 nahezu 0 nahezu 0
6,5 6,9 2,0 0,21 nahezu 0 nahezu 0
6,9 3,4 0,56 0,02 nahezu 0 nahezu 0
7,0 2,8 0,40 0,01 nahezu 0 nahezu 0
Die zweite Tabelle ("Überwinden der 5%-Hürde") gibt entsprechend die Anteile an falschen Prognosen wieder, wenn das amtliche Ergebnis über 5% liegt. Fordert man, daß wenigstens 95% aller Querschnitte die richtige Antwort liefern, so ist aus den Tabellen abzulesen, daß bei amtlichen Ergebnissen zwischen 4,0% und 6,2% diese Forderung mit 1000 Befragungen nicht zu erreichen ist.

Beispiel 2: Die Mehrheit

Verpassen der absoluten Mehrheit
CDU/CSU/FDP-Anteil gemäß
amtlichem Wahlergebnis
Anzahl der Interviews
500 1000 2000 10000 667000
45,0 1,4 0,08 nahezu 0 nahezu 0 nahezu 0
46,0 4,0 0,62 0,02 nahezu 0 nahezu 0
47,0 9,7 3,1 0,39 nahezu 0 nahezu 0
47,35 12,7 5,0 0,94 nahezu 0 nahezu 0
47,5 14,1 6,0 1,34 nahezu 0 nahezu 0
48,0 19,8 10,9 3,9 nahezu 0 nahezu 0
48,5 26,5 17,9 9,3 0,14 nahezu 0
49,0 34,4 27,4 19,2 2,3 nahezu 0
49,5 42,9 38,8 33,5 16,1 nahezu 0
49,8 48,2 46,2 43,8 34,8 0,05
49,9 50,0 48,7 47,3 42,4 5,0
Die entscheidende Frage der Wahl lautet, ob CDU/CSU und FDP zusammen mehr als 50% der Stimmen gewinnen. Wann kann eine Meinungsumfrage dies klären ? Das Problem der 5%-Hürde sei dabei ausgeklammert.
Die beiden Tabellen zeigen wieder den prozentualen Anteil an repräsentativen Querschnitten, die ein falsches Ergebnis vortäuschen; die in der oberen Tabelle also die Koalition an der Regierung sehen, obwohl der unterstellte Stimmenanteil unter 50% liegt; ihr in der unteren Tabelle dagegen trotz Stimmenanteil über 50% keine Mehrheit zubilligen. Die Ergebnisse sind wiederum für verschiedene Umfänge der Querschnitte angegeben.
Zum Beispiel: Bei 47,5% wahrem Stimmenanteil und 1000 Interviews täuschen bereits 6% aller repräsentativen Querschnitte eine Mehrheit für die Koalition vor.
Gewinnen der absoluten Mehrheit
CDU/CSU/FDP-Anteil gemäß
amtlichem Wahlergebnis
Anzahl der Interviews
500 1000 2000 10000 665000
50,0 48,2 48,7 49,1 49,6 49,95
50,1 46,4 46,2 45,5 41,7 5,0
50,2 44,7 43,7 42,0 34,1 0,05
50,5 39,4 36,4 31,9 15,6 nahezu 0
51,0 31,1 25,3 18,0 2,2 nahezu 0
51,5 23,7 16,3 8,6 0,13 nahezu 0
52,0 17,4 9,7 3,5 nahezu 0 nahezu 0
52,5 12,2 5,3 1,2 nahezu 0 nahezu 0
52,55 11,8 5,0 1,1 nahezu 0 nahezu 0
53,0 8,3 2,7 0,34 nahezu 0 nahezu 0
54,0 3,3 0,50 0,016 nahezu 0 nahezu 0
55,0 1,1 0,068 nahezu 0 nahezu 0 nahezu 0
Ähnlich bei 52,5% : Dort sind es 5,3% der Querschnitte, die der Koalition fälschlicherweise eine Wahlniederlage zuschreiben.
Das bedeutet: Bei einem wahren Stimmenanteil zwischen 47,5% und 52,5% sind überhaupt keine verläßlichen Aussagen möglich, die wenigstens 19 von 20 Querschnitte mit 1000 Interviews richtig wiedergeben würden.

Wie die Tabellen berechnet wurden

Die Werte in den Tabellen wurden numerisch mit der Binomialverteilung berechnet. Zum Beispiel bei der Frage nach dem Scheitern an der 5%-Hürde und einem FDP-Anteil von p (unterhalb 5%) durch folgende Formel (n ist die Zahl der Interviews):

Die Tabellenwerte wurden auf einer Cyber 175 mit einer Computer-Simulation berechnet, zum Teil aber auch - in guter Übereinstimmung - mit der Multinomialverteilung. Die Programme schrieben Ullrich Tesche und Edith Achiman.

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