II. Bild der Wissenschaft

Politbarometer im Zweiten Deutschen Fernsehen:

"Welche Partei bevorzugen Sie im Augenblick?",
so fragen wir jeden Monat. Wir haben einen repräsentativen Querschnitt von über 1000 Wahlberechtigten befragt. Die Forschungsgruppe Wahlen hat das Ergebnis ausgewertet.

Vor der Bundestagswahl haben die Meinungsforscher wieder Hochkonjunktur. Mit repräsentativen Befragungen wollen sie den Wahlausgang voraussagen. Ist das Wissenschaft oder nur ein wissenschaftlich verbrämtes Orakel der Neuzeit? Unter einem repräsentativen Querschnitt verstehen die Demoskopen keineswegs ein verkleinertes Abbild der Bevölkerung, sondern eine per Lotterie getroffene Auswahl. Je zufälliger, desto besser. Sie berufen sich dabei auf die Statistik; doch was diese wirklich und seit langem sagt, geht bei der Prognose-Industrie oft verloren und wird durch Wunschdenken ersetzt.

Schon kurze Zeit nach Schließung der Wahllokale am 25. Januar 1987 lag die erste Projektion auf die Endergebnisse vor und ließ mit recht guter Genauigkeit erkennen, wie die Wahl ausging. Wie aber steht es mit den Prognosen, die von verschiedenen Instituten in den Monaten und Wochen vor jeder Wahl gestellt werden? Geben sie schon verläßliche Hinweise auf den Ausgang? In der Vergangenheit war das keineswegs immer der Fall.

Zum Beispiel das Allensbacher Institut für Demoskopie: Es erstellte vor den Bundestagswahlen sehr aufwendige Prognosen, die sich auf bis zu 6000 Interviews stützten - sind doch die in der Öffentlichkeit vorgestellten Wahlprognosen das beste Werbemittel für die Demoskopen, falls sie gelingen. 1983 etwa lag die Allensbacher Vorhersage wie bei den vorhergehenden Bundestagswahlen recht nahe am tatsächlichen Wahlergebnis:

CDU/CSU 47,0% (tatsächlich 48,8%)
SPD 40,0% (tatsächlich 38,2%)
FDP 6,2% (tatsächlich 7,0%)
Grüne 6,5% (tatsächlich 5,6%)

Doch bei der Landtagswahl im Saarland 1985 lag die Prognose völlig daneben, wie die Leiterin des Instituts, die Demoskopie-Pionierin Frau Prof. Dr. Noelle-Neumann, in einem Rechtsstreit mit dem Spiegel offenlegen mußte:

CDU/CSU 47,0% (tatsächlich 37,3%)
SPD 44,2% (tatsächlich 49,2%)
FDP 11,9% (tatsächlich 10,0%)
Grüne 16,5% (tatsächlich 2,5%)

Die im Auftrag der saarländischen CDU erstellte Prognose basierte auf einer "Repräsentativ-Umfrage" von nur 370 Interviews. (1) Sie war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Das einträgliche Alltagsgeschäft der Prognoseindustrie, kommerziell motivierte Meinungsumfragen, basiert in der Regel auf einigen hundert bis zweitausend Interviews. Bei solchen Umfragen schlägt keine Stunde der Wahrheit, gibt es keine Wahl. Wollte ein Auftraggeber das gelieferte Produkt überprüfen, hätte er nur die Möglichkeit, nochmals einen vier- bis fünfstelligen Betrag auf den Tisch zu legen und ein Konkurrenz-Institut mit der gleichen Umfrage zu beauftragen.

Es gibt viele Gründe, warum Wahlprognosen sich nicht erfüllen. Beispielsweise können sich die Wähler noch bis zur letzten Minute anders besinnen. Es ist sogar möglich, daß sie gerade aufgrund einer Prognose ihr Verhalten ändern, zum Beispiel um einer kleinen Partei doch noch über die 5%-Hürde zu helfen. Doch so sehr Gründe wie diese von den Demoskopen als Entschuldigung angeführt werden - und zweifellos auch eine Rolle spielen - : Es gibt ein Kernproblem, das damit nicht wegdiskutiert werden kann, und dies ist rein mathematischer, statistischer Natur.

Um dies ausführlicher zu erklären, ist zwischen zwei grundlegend verschiedenen Problem-Ebenen der Demoskopie zu unterscheiden:

Da sind zunächst die soziologischen und psychologischen Aspekte. Wie kann man jemanden so befragen, daß er die "Wahrheit" antwortet? Selbst wenn man einen Original-Wahlzettel vorlegt und ankreuzen läßt, wird ein kleiner, vielleicht aber entscheidender Teil der Befragten sich am Wahlsonntag angesichts der Wahlurne doch anders entscheiden. Nicht nur, weil er inzwischen Gespräche mit anderen geführt hat oder zwischenzeitliche Ereignisse ihn umstimmen. Allein die Umgebung, die Situation des Interviews, der Zusammenhang der Fragen spielen eine Rolle. Der ungebetene Interviewer mit seinem seitenlangen Fragebogen kann die Entscheidung beeinflussen, ohne es zu beabsichtigen.

Die zweite Ebene ist rein mathematisch-statistischer Natur. Es kann schon aus Kostengründen nur ein kleiner Teil der Bevölkerung - einer von 40000 - befragt werden, ein sogenannter repräsentativer Querschnitt. Von diesem wird dann auf die Gesamtbevölkerung geschlossen. Das aber ist nur im statistischen Sinn möglich, enthält also einen bestimmten Fehlerspielraum.

Genau hier liegt der Kern des Problems, der alle gängigen Wahlprognosen und erst recht kommerziell motivierte Meinungsumfragen als pseudowissenschaftliche Vorspiegelung exakter Zahlen entlarvt.

 

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